…ist nicht so mein Ding. Aber hier werde ich nicht gefragt. Überhaupt – komme ich nicht zum Fragen… Hier talkt nur EINE – SIE.
57, kurze blonde Haare, schwerer Rollkoffer mit schwerer Tasche obendrauf. Auf dem Weg nach Holland. Zu ihrer Tochter. Die ist bei der Armee – der deutsch-holländischen.
Aha.
Ja, sagt sie, die hat das Abi im letzten Jahr verkackt und hat sich dann dort gemeldet. Ihr Vater ist im Dreieck gesprungen und hat sie unter Druck gesetzt. Da ist sie einfach abgehauen – nach Holland. Aber sie ist ehrgeizig, wie ihr Vater. Ach – und sie ist doch schon 26.
Aha. Vielleicht sollte ich kurz erwähnen: Ich kenne diese Frau nicht – Ü.BER.HAUPT. NICHT. Stehe seit zwei Minuten an der Bahnsteigkante – der schmalsten Stelle, die hier zu finden ist – Rollstuhlfahrer dürfen hier nicht lang – weil zu eng… und will doch nur für mich sein. Habe Stöpsel in den Ohren, bin gedanklich gerade nicht auf dem Bahnsteig und habe nur aus Höflichkeit Platz für diesen blöden Rollkoffer gemacht.
„Ihre Puppenaugen sind`s“, sagt die Frau, „sie haben so schöne Puppenaugen – da musste ich sie einfach ansprechen“… Mein KLEINES VORMIR bricht in schallendes Gelächter aus und auch mein KLEINES HINTERMIR kräuselt die Lippen: Charlotte – du musst nur mit den Wimpern klimpern – so wie ich… mein KLEINES VORMIR biegt sich vor Lachen…
„Ja und dann sind sie auch noch auf dem neuesten Stand der Technik“, sagt sie und deutet auf meine Ohrstöpsel. Innerlich verdrehe ich meine NICHT- Puppenaugen… „Nicht wie bei der ganz Jungschen dahinten – die glaubt ja auch, dass ich in meinem Alter keinen Sex habe…“
Jetzt wär der Moment, wo ich was sagen würde wollen. Komme aber nur bis zum Luftholen.
„Bei mir geht immer alles schief“, sagt sie plötzlich – „wie bei Pippi Langstrumpf“…
Stopp – sage ich. Ihr fällt vor Schreck fast die Zigarette aus der Hand. Hatte ich erwähnt, dass sie lange, schmale Zigaretten raucht, auf denen Vogue steht…?
Bei Pippi Langstrumpf gehen nur die Dinge schief, die schief gehen sollen. Und wirklich schief geht da nix, sage ich.
Bevor sie antworten kann, ziehe ich sie ein Stück von der Bahnsteigkante weg – es ist wirklich sehr schmal – da wo wir stehen. Sie lacht. „Ich bin doch nicht lebensmüde“
Das wissen Sie – aber der Lokführer weiß das nicht, antworte ich und der hat eben schon merkwürdig geguckt. „Ach – an der Stelle wird eher geschubst – springen tun die von da hinten…“
Aha. Ich will gar nicht wissen, wo sie das her hat.
Beim Einsteigen in die Bahn verliere ich sie aus den Augen – den NICHT-Puppenaugen. Bemerke dann aber, dass die Schaffnerin – ein Abteil weiter – wie festgewachsen im Gang steht. Ein schwerer Rollkoffer steht ihr im Weg mit einer schweren Tasche obendrauf. Und irgendwie scheint sie nicht zu Wort zu kommen…
Small Talk, denke ich…
Liebe M.Charlotte. Nach nur ein paar Minuten dauerndem Schwäzen hätte ich den Rücken zugewandt. Es steht fest, dass du, liebe M.Charlotte, immer noch und zweifellos in deinem Alter jung bist…Und dass, du solche Reden dulden kannst oder erlaubst, liegt an deiner Liebenswürdigkeit. Liebste Grüsse an dich.
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Merci, merci …lieber Marseiller…
Grüße aus dem nebligen November…
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