denk ich grad noch nicht – denn sie ist noch nicht eingetroffen, die blonde Frau. Ah – da kommt sie aber.
Klein, blond, zierlich – nicht mehr ganz jung, sucht sie einen Platz. Der füllige Mann mir gegenüber rückt seinen Rucksack unwillig näher an seine Fülle. Die Frau setzt sich, um gleich wieder aufzustehen. Sie zieht ihren schwarzen Wollmantel aus, legt ihn zusammen, setzt sich wieder. Als nächstes knöpft sie ihre ebenfalls schwarze Strickjacke auf, schält sich mühselig und nicht ohne der Fülle des Mannes bedrohlich nahe zu kommen aus den engen Ärmeln, wickelt sie zusammen, legt sie auf den Mantel.
Aha, denke ich… mehr noch nicht…
Inzwischen ist die blonde Frau dabei auch ihren dicken schwarzen Schal abzuwickeln. Sie schafft es ohne den fülligen Mann zu berühren. Der weiß mit seiner Fülle gar nicht mehr wohin. Schweißperlen stehen ihm auf der Stirn, und ich bin mir sicher, dass er – wem auch immer – dankt, dass sein Rucksack einiges an Aktion abfängt, die ihn so früh am Morgen sichtlich in Nöte bringt.
Unter dem schwarzen Schal trägt die blonde Frau ein schwarzes Halstuch. Das rührt sie nicht an. Sie kommt kurz zur Ruhe und ich knöpfe verstohlen meinenMantel zu. Ja – und ich verkrieche mich in meinen dicken bunten Schal. Mir ist kalt… liegt´s an der Müdigkeit, am Wetter – wir haben ernsthaft November..?!
Ob sie jetzt fertig ist…?, überlege ich… Weil – wir sitzen in der S – Bahn… Da braucht´s jetzt ein wenig Vorlauf bis sie wieder angezogen ist. Alle zwei Minuten einen neue Station…
Ihr Blick senkt sich. Oh – nöööö… Nee – das jetzt bitte nicht.
Doch.
Sie tut`s.
Öffnet den Reißverschluss des rechten schwarzen Stiefels und hangelt ihren Fuß raus – war ja klar. Der Fuß ist ohne Socke… Sie wackelt kurz mit den Zehen, stülpt den Stiefel um und schüttelt ihn kräftig. Es macht pling. Aha … Eine Haarspange. Im Schuh… wie unangenehm – grad bei Barfußfüßen. Die blonde Frau wackelt erneut mit den Zehen, seufzt auf und versucht ihre Beine lang zu machen. Einen Schuh an, einen Schuh aus… Für lange Beine ist kein Platz – meine Sitznachbarin hat ihre beschuhten Füße demonstrativ in den Weg gestellt. Ihre Empörung gesellt sich zu den Schweißperlen des fülligen Mannes – diagonal – sozusagen.
Mein Kleines HINTERMIR plustert sich auch ganz schön auf:“ ey, was denkt die sich denn eigentlich…? Die ist doch hier nicht zu Hause!!! Kannst du ihr bitte mal sagen, dass sie ihren Schuh wieder anziehen soll?! Und überhaupt … – wieso ist die fast nackt…?
„Jetzt übertreibst du aber“, kommt´s vom Kleinen VORMIR:“… die hat doch bloß keinen Schuh an, wo ist denn da dein Problem? Wenn der drückt, muss man Abhilfe schaffen. Ist wie im wirklichen Leben…“, philosophiert mein Kleines VORMIR, „und wo bitte ist sie fast nackt…? Der Fuß ist nackt – mehr nicht. Vielleicht hat sie grad kein Geld für Socken – setzt eben andere Prioritäten…“
Ich muss grinsen und ziehe mir damit auch den Unmut meiner diagonalen Mitreisenden zu. Derweil kramt die blonde Frau in ihrer schwarzen Tasche und holt einen Notizkalender heraus. Balanciert Mantel, Strickjacke und Schal auf ihren Knien – findet einen Stift und schaut mich aus Versehen an. Bisher hat sie jeden Blickkontakt gemieden.
Oh… Oh – oh… Mir wird Einiges klar.
Pupillen, groß wie Wagenräder… Ich werfe einen Kontrollblick in die Augen meines fülligen Gegenübers… Aha …. Nadelkopf- Pupillen…
Die Wagenräder liegen also nicht am fehlenden Licht. „Das ist jetzt nicht wahr“, stöhnt mein Kleines HINTERMIR auf… „Ähm – die kommt sicher vom Augenarzt – irgend so´n Test“, versucht sich mein Kleines VORMIR in allerrosigstem Optimismus.
…hart an der Grenze…, denke ich und steige über drei Stiefel und einen nackten Fuß…
Liebe Charlotte…Ich konnte nur an Comics denken, da jede Bewegung der Figuren gehört zu einer anderen Seite, die wir wenden. Und dazu dein Kommentar….Am schönsten sie die Fussspuren, die du hinterlassen hast…Liebe und wieder-regnerische Grüsse. Furchtbares Wetter seit 3 Wochen!
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….hab mich gefühlt, wie im Comic, lieber Marseiller 😉
Und der November ist bei uns auch eingetroffen – aber eben erst …. also liebste Grüße durch Graupel und Wind in der Dämmerung….
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