…was Mystisches wie´s scheint…

Grad ist noch alles geerdet. Die Bahn, die Leute, meine Gedanken… na gut – das mit den Gedanken nehme ich zurück. Die machen sich nämlich grad auf den Weg zur Frau mir gegenüber. Eine aparte Frau – schätze mal Mitte/Ende 50. Wirklich apart. Ist ein altes Wort – trifft´s aber ganz gut. Rotblondes Haar , hochgesteckt. Sommersprossen im Gesicht. Braune intelligente Augen, die auf der Suche nach Lesestoff meine treffen. Ach – und einen hellen Trenchcoat trägt sie. Kamelhaarfarben. Ich sehe kein Telefon in der Hand.

Schräg hinter ihr, im nächsten Abteil und damit nicht sichtbar für sie – kniet ein Mann auf dem Boden. Sein Blick sucht die dunkelsten Stellen unter der Bank. Ich höre ein klares Aufseufzen und sehe den Mann, wie er einen Knopf aufhebt. Offensichtlich liegt ihm der am Herzen. Er seufzt ein weiteres Mal, setzt sich und beginnt seinen hellen Trenchcoat nach dem losen Knopffaden abzusuchen.

Er findet keinen losen Knopffaden – alle Knöpfe noch dran. Irritiert begibt er sich ein zweites Mal auf die Suche nach dem losen Faden. Der Knopf in seiner Hand gehört eindeutig zu seinem hellen Trench. Wo also bitte fehlt der Knopf…?

Der Mann schaut auf. Und ich bin wirklich verblüfft. Gibt`s sowas wirklich…?

Schräg hinter der aparten Frau sitzt ihr männliches Pendant. Genauso apart. Rotblondes Haar, Sommersprossen, Goldrandbrille – sie nimmt ihre gerade zur Hand, um einen Brief zu studieren. Er setzt seine wieder auf, um den Knopf noch einmal zu mustern.  Meine Gedanken wirbeln: kennen die sich..? Wissen die beiden voneinander…? Spielen die ein Spiel… steht hier irgendwo eine versteckte Kamera…?

Mit einer eleganten Bewegung bindet die aparte Frau mir gegenüber den Gürtel ihres hellen Trenchs und bemerkt einen fehlenden Knopf. Entsetzt lässt sie den Blick über den Boden schweifen. Dabei bewegt sie sich Richtung Tür.

Der aparte Mann mit der frappierenden Ähnlichkeit, steht auf, rückt seinen Gürtel zurecht und läuft hinter ihr den Gang runter zur Tür. Klopfenden Herzens, weil ich echt nicht weiß, wie das ausgehen soll, schaue ich den beiden hinterher. Verzankte Zwillinge…?, kommt mir in den Sinn. Können sich Zwillinge überhaupt verzanken…?

Kurz vor dem Aussteigen tippt der Mann der Knopf vermissenden Frau auf die Schulter und hält ihr den Knopf hin. Sie dreht sich noch in der Tür stehend um und erstarrt. Blass waren beide schon vorher. Jetzt sind sie kreideweiß. Gefühlte Zeitalter vergehen,  ohne dass die beiden ein Wort sagen. Nur ein Knopf trennt sie von der Wirklichkeit.

„Ich bitte die Fahrgäste, die Tür freizugeben“ tönt es über die Lautsprecher. Ich sehe, wie der aparte Mann im hellen Trenchcoat, der aparten Frau im hellen Trenchcoat den Knopf reicht. Beide machen einen gleich großen Schritt auf den Bahnsteig. Die Türen krachen zu und die beiden verschwinden aus meinem Blickfeld. Wobei sie eine Menge Gedanken da lassen. Und  nicht zuletzt was Mystisches, wie´s scheint…

 

 

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4 Kommentare zu „…was Mystisches wie´s scheint…

  1. Liebe Charlotte. Ich kann mir vorstellen, dass beide dich schon in der Bahn bemerkt hatten, wenn du die Fahrgäste mit Aufmerksamkeit beobachtest und ihr Verhalten aufschreibst. Hatten sie an diesem Tag vor, deine Aufmerksamkeit zu messen? Die Suche nach dem Kopf sollte nur eine Art Falle sein, in die du gerutschst bist?…Oder war der Knopf nur ein Mittel für Spionen, die sich erkennen und treffen sollten? Fährt die Bahn über die Glienike Brücke?….Berlin, Berlin….Liebste Grüsse.

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