…es gibt immer einen Grund…

…nee… diesmal nicht. Zwei Minuten Verspätung nehme ich mit stoischer Ruhe zur Kenntnis. Mach mir auch keine Gedanken dazu, wie es wohl aussehen wird…

Kurzes, hellgrünes Kleid mit Storchenbeinen, rennt die Treppen runter, durch den Tunnel und die Treppen wieder rauf. Laviert sich durch entgegenkommende Massen, rennt einen Koffer über den Haufen, springt durch sich schließende Türen und sucht sich nach Luft schnappend – schweißüberströmt – einen Platz. Sind schließlich 30 Grad draußen. Wird sogar Schweißtropfen in den Kniekehlen geben. Denke ich. Noch in der S-Bahn.

Kurz vor Einfahrt des Ziel – und Endbahnhofes hält die S-Bahn. Aha.

Ich sage mir – der Fahrer will mich NICHT ärgern. Der hat ein Signal und daran muss er sich halten. Das beruhigt mich nicht im Mindesten.

Ich habe heute einen sorgfältig ausgeklügelten Plan, wie ich nach Hause komme. Mein Abholservice hat auswärts zu tun und steht nicht zur Verfügung. Fährt mein Zug heute ohne mich ab – und im Moment sieht es sehr danach aus – bricht alles zusammen. Die Freundin, die ich gebeten habe mich abzuholen, hat auch nicht endlos Zeit…

Die S-Bahn fährt wieder an und schleicht in den letzten Bahnhof. Ich renne im hellgrünen, kurzem Kleid die Treppen runter, durch den Tunnel und die Treppen rauf. Laviere mich durch entgegenkommende Massen, renne einen Koffer über den Haufen und springe durch die sich gerade schließende Tür…

STOPP !!!

Nee… Tu ich nicht.

Die Tür ist zwar offen aber da geht nix mehr. Da passt nicht mal mehr mein kleiner Zeh rein. Wie die Sardinen kleben die Menschen in der Enge aneinander. Fahrräder blockieren die Türen, hochrote Gesichter, schweißbedeckt – flehende Blicke – BLEIB DRAUSSEN… schreien sie mich stumm an.

Die Tür schliesst sich mit gnadenloser Langsamkeit. Ich stehe ungläubig am Bahnsteig. Der fährt jetzt wirklich ohne mich ab…

Mein ganzer – sorgfältig geplanter Zurückkomm – und Abholplan – löst sich grad in Schweißtropfen auf. Ich bin so furchterregend wütend, dass die drei anderen jungen Menschen, die ebenfalls draußen bleiben mussten und selbst auch sehr, sehr wütend sind – sich einen anderen Bahnsteigbereich suchen.

Wenn hier wenigstens jemand wäre, bei dem ich meinen Frust loswerden würde… Aber nee… ganz allein bin ich mit meinem Zorn. Und ein Eis gibts auch nicht!!!

Dreißig Minuten später kommt der nächste Zug. Bis dahin habe ich mit der Freundin telefoniert, die mein Abholen gleich mit einem Einkauf verbindet. Ich möchte bitte nur eine Station früher aussteigen. Ja – das krieg ich hin. Wo sie steht, will ich noch wissen. Vor oder hinter dem Bahnübergang. „Dahinter“, sagt sie, „da wo das Restaurant ist.“

Alles klar. Der Zug hält. Ich steige aus. Laufe die Treppen runter und durch einen feuchten, muffigen Tunnel. Neben mir läuft ein kleines Mädchen – vielleicht fünf – und hat schwer mit ihrem silbernen Roller zu kämpfen. Das rechte Bein ist ziemlich verschlammt. Sieht aus, als hätte sie einen Unfall mit einer Pfütze gehabt. Am Fuße der aufwärts führenden Treppe halte ich inne: „Soll ich dir deinen Roller nach oben tragen…? Scheu schaut sie mich an und nickt. Ich trage den schlammbespritzen Roller nach oben in der Hoffnung, dass mein kurzes, hellgrünes Kleid ohne Schlamm davon kommt. Ja. Tut es. Oben nimmt das Mädchen seinen silbernen Roller entgegen, lächelt kurz und rollert davon. Derweil klingelt mein Telefon. Die Freundin ist dran – sie hat`s doch nicht mehr geschafft  – die Schranken waren schon unten – sie steht jetzt auf der anderen Seite.

Aha. Du meinst, da wo ich gerade herkomme – da stehst du jetzt…

„Ähm – Ja.“

Wunderbar. Treppe wieder runter, durch den feuchten, muffigen Tunnel, Treppe wieder rauf. STOPP!!!

Was´n das?

Aus dem Augenwinkel sieht es aus, wie ein entflohener Guppi, der auf einer Stufe Schutz sucht. Mir kommt ein Mann entgegen und sagt: „Wenn Sie da einen 100 € Schein entdeckt haben, ist das meiner…“ Ich dreh mich um und laufe nochmal zwei Stufen zurück. Der Mann folgt mir. Auch neugierig. Was ich sehe, kann ich nicht gleich einordnen. Entflohener Guppi trifft´s beinah. Ein Wesen hockt da  – zwei Zentimeter groß, Grundfarbe weiß mit blauen Punkten – und – hat Flügel. Also kein entflohener Guppi. Eher ein Tag/Nachtfalter. Der Mann sieht mich beinahe respektvoll an: “ Sie laufen ja  mit echt offenen Augen durch die Welt…“ Ich hole mein Telefon hervor und fotografiere dieses Wunderwesen. Kriegs nicht ganz scharf – weil  – scharf im ganz Nahen – mag die Kamera nicht. Ist ja auch ein Telefon…;)

Die letzten Treppenstufen fühlen sich anders an. Es gibt immer einen Grund für die Dinge, wie sie passieren… Steckt irgendwas Wahres drin. Und ich bin gar nicht mehr wütend.

Einen Beinahbiologen, den ich frage, wem ich denn da begegnet sei, schreibt spontan:

schaut aus wie ein südnordasiatischer faltriger Fischflügler aus der Familie des Stratiatella Eises… waren nur zwei Semester Biologie…;)

 

 

IMG_8155

 

12 Kommentare zu „…es gibt immer einen Grund…

  1. Liebe Charlotte,
    da ist der Schädling* doch noch zu etwas nütze! Er rettet deinen Tag – sowas gibts nur bei Dir…
    Viele Grüße und weiterhin offene Antennen!

    * ein Kastanienbohrer wars

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    1. Oh vielen Dank, liebe Rita – ich mag mir jetzt nicht vorstellen, was so ein Kastanienbohrer alles anrichtet… aber schön ist er schon der entflohene Guppi aus der Familie des Stracciatella Eises…😉
      Schönen Abend, Dir

      Charlotte

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  2. Und du hast dem Mädchen den Roller getragen, eine gute Tat 😀
    Alles hat seine Grund, auch wenn man es oft erst hinterher erkennt.
    War doch ein schönes Tierchen …🙃
    Liebe abendliche Grüße 🙋🏻‍♀️

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    1. ….stimmt…liebe Tini… alles …😉
      Schlaf gut …nächsten Dienstag wird’s nicht so spät … versprochen…
      Hmmm – wenn die Bahn mitmacht ..😁

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  3. Ach liebster Charlitte, hast du deine Freubin nich gefunden ? 😂 Ich hiffe es für Duch. Dieser 2 Minuten würden nich wahnsinnig machen.
    Ganz lieben Gruß und die Hoffnung das diese Problem bald nicht mehr ein Problem für Dich ist 🙂

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      1. Alles gut, lieber Novembermann …. sowas in der Art hatte ich schon gedacht … und mit verbuxelten Buchstaben nach kurzen Nächten kenne ich mich ziemlich gut aus ….😉

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  4. Liebe Charlotte. Dass ein Tierchen dich das alles, was du bisher erlebst hattest, vergessen liess, finde ich wunderbar….Wozu dient in Deutschland ein Eis beim Erleben des Zorns? Wäre das ein Sprichwort?…Liebe beruhigende Grüsse…

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    1. Eis ist bei mir universell einsetzbar, lieber Marseiller, gern in der Schokovariante… da komm ich dann gut wieder runter … innerlich abgekühlt sozusagen…. funktioniert auch mit Eiswürfeln- vorzugsweise im Caipirinha oder Martinicocktail….
      Sonnige Grüße
      Charlotte

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  5. Ach, liebe Charlotte
    Um ehrlich zu sein
    hab nichts anderes erwartet 😂
    Ich wusste das die (nächste)Geschichte eine fesselnde/spannende Geschichte wird💖 ich hab mich nicht getäuscht 😂😂

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    1. ….hmmm…., liebe Ella … du baust echt Leistungsdruck auf…😉
      Ich geb mir Mühe, ja…?! Aber mal ehrlich- wie soll ich denn einen südnordasiatischen faltrigen Fischflügler aus der Familie des Stracciatella Eises toppen….??!🙃

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