Goldfischglas

Dieser Titel gibt mir zu denken.

Hinter mir sitzt ein Mann mit beträchtlicher Leibesfülle. Er füllt eine Bank ganz allein aus. Neben ihm hat nur noch sein Rucksack Platz. Der ist nicht groß. So ein fülliger Mann fällt von Natur aus schon auf. Was mir aber schwer zu schaffen macht, ist nicht seine Leibesfülle sondern seine Kopfbedeckung.

Er trägt ein blaukariertes Geschirrhandtuch um den Kopf geschlungen. Aber nicht etwa cool, wie ein Surfer oder ein Survival-Kanditat – nee – mehr wie eine russische Babuschka. Die Zipfel säuberlich unter dem Kinn verknotet. Und er trägt nicht nur dieses Geschirrhandtuch auf dem Kopf – nee … Darüber trägt er eine russisch anmutende Mütze – Tschapka, sagt man – glaube ich. Und darüber – ja – da gibt es noch ein Darüber – sitzt eine Kapuze. Die von der dicken Jacke. Ich gebe zu – ich warte, wie alle, auf den Frühling. Und… Ja – ich habe mit den vorherrschenden Temperaturen so meine Schwierigkeiten. Aber das, was dieser Mann dort alles auf dem Kopf trägt, lässt mich ein wenig zweifeln.

An seinem Verstand… an meinem…

Vielleicht hat er Zahnschmerzen. Dann tue ich dem armen Mann wirklich Unrecht.

Ich könnte ihn fragen. Nee – das tu ich nicht. Er sieht unnahbar aus. Als würde er in seiner eigenen Mützenwelt leben. Mir fällt Stephen Hawking ein…

Wenn der Waggon, in dem ich sitze – zusammen mit dem Mützenmann und den anderen, die zum großen Teil auf ihre Telefone starren – wenn wir das Goldfischglas wären – was würde der Betrachter von außen von uns denken?

Ich mein, es geht ja nicht mal ums Denken… Eher ums Sehen.

Da ist diese junge Frau, die permanent auf ihrem Telefon rum tippt. Ständig machts „ding,ding“ Heißt – sie kriegt permanent Nachrichten. Die Fingernägel klackern auf dem Display beim Schreiben. Ganz versonnen lächelt sie dabei. Manchmal lacht sie auf. Irgendwann stellt sie ihr Telefon auf Stumm. Da brummt´s nur noch.

Der Mützenmann sitzt ganz still auf seiner Bank. Er tut nix. Hat seine riesigen Hände vor dem fülligen Bauch gefaltet und ist in seiner Welt versunken. Dabei sitzt er ganz gerade.

Und dann bin da ich. Die mit einem Bleistift versucht, die Stimmung festzuhalten. Wo die Buchstaben aufs Papier purzeln und nur ich erkenne, was dort geschrieben steht. Halbe Sätze, Wortfetzen, Abkürzungen… das ganz eigene Charlottesystem.

Hmmm… wir sind schon eine seltsame Spezies, wird der Betrachter/die Betrachterin/das Betrachter sich denken. Jeder ist für sich allein. Und doch gibts Kommunikation. Ganz individuell. Wie es eben bei so einer seltsamen Spezies zu erwarten ist…

Gott  – wo kommen bloß immer diese seltsamen Gedanken her? Ich sollte einfach aufstehen und dem Mann hinter mir eine Aspirin anbieten. Vielleicht hilft´s ja…

 

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3 Kommentare zu „Goldfischglas

  1. Liebe Charlotte. Es sieht so aus, als ob der türkische Präsident das ehemalige osmanische Reich wieder herstellen möchte. Anhänger hat er wahrscheinlich auch in der Berliner Bahn. Der Mann mit dem komischen „Hut“ wollte vielleicht einem Janitschar gleichen….Ein bisschen Geschichte: die Streitmacht von Sultan Orhan Gazi sollte ein Abzeichen aufweisen, wie kein anderes Heer besass. Bisher war die Feldhaube rot, so sollte sie von nun an weiss sein….Später mussten die gefangenen christlichen Jungen unter Sultan Murad Khan Gazi türkisch lernen und dann die weisse Feldhaube tragen…so entstanden die sogenannten Janitscharen….Auch in der Bahn wiederholt sich die Geschichte…Liebe Grüsse.

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    1. Lieber Marseiller,
      das musste ich erst mal verdauen und eine Nacht darüber schlafen…. ich bin beeindruckt…. Janitscharen… aha….
      Na – mein Exemplar hatte vielleicht wirklich nur Zahnschmerzen oder war verwirrt… osmanisch war er wohl eher nicht …. bin mir nur nicht sicher , auf welcher Seite des Goldfischglases er sich befindet ….
      Liebe Grüße
      Charlotte

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