white vs. black

Ich hänge in der Bahn ab. Meine innere Uhr nimmt mir die fehlende Stunde ernsthaft übel. Gefühlt war es fünf!! Uhr beim Aufstehen. Da geht nur Abhängen. Muss aufpassen, dass ich nicht vom Sitz rutsche. Mit letzter Kraft stöpsel` ich mir die Ohren mit Musik zu.

Meine Beine beginnen zu zucken. Ich höre Hozier – nee  – nicht ´Take me to Church  sondern ´Angel of Small Death & the Codeine Scene` …da kann man (ich) nicht einfach bei sitzen bleiben…

Mein Mirgegenüber bringt seine Krücke in Sicherheit. Ich rutsche tatsächlich vom Sitz – fange mich aber ab, bevor es peinlich wird und die Krücke im Gang liegt. Das bringt meinen Gegenüber dann doch zum Schmunzeln. Das Adrenalin macht mich ganz wach und mir fallen weitere Krücken auf. Vorn an der Tür steht ein Vater mit seinem Sohn, der im Rollstuhl sitzt. Eher temporär. Lustiger, farbenfroher Rollstuhl. Sind das noch die Skiunfälle aus den Ferien?, frage ich mich. Der Vater hält die Krücken und der Sohn lacht. Stimmt – wir haben schon wieder Ferien. Osterferien. Deshalb die vielen Koffer und Krücken. Es wird verreist.

Ich wechsle die Bahn. Jetzt sitzt mir ein sehr dunkler Mann gegenüber. Ja  – politisch korrekt schreibe ich Afrikaner. Schon sehr, sehr dunkelhäutig. Da falle ich gleich noch mehr auf – nee – bin nicht blond, trage aber eine sehr weiße Kuscheljacke. Manche nennen sie Eisbärenfell. Manche sehen mich eher als Wölfin im Schafspelz. Wie auch immer.

Als ich mein Telefon heraushole, um andere Musik einzustellen, bemerke ich weiße Fusseln am Telefon. Ich zupfe den grössten ab und lasse ihn fallen. Entgegen jeder physikalischen Gesetzgebung steigt er auf. Ganz gemächlich dreht er sich und steigt weiter. Komm mir vor, wie bei Forrest Gump. Da ist es eine Feder – die steigt und sich dreht, fällt, nochmal steigt, um dann endgültig vor den Füßen von Forrest Gump auf der Parkbank zu landen. So ungefähr. Nur andersrum.

Ich beobachte den Fussel, wie er sich für keine Richtung entscheiden kann. Der wirklich dunkelhäutige Mann starrt ebenfalls. Auf den Fussel. Es ist ein unglaubliches Bild: ein weißer Fussel weht sacht über die dunkle Stirn  des wirklich sehr dunkelhäutigen Mannes. Und nur ich kann es sehen. Der Mann fühlt es eher. Er will nach dem Fussel greifen aber der Luftstrom sorgt für mehr Auftrieb, und er wird für einen Augenblick unsichtbar. Als ich ihn endlich wieder entdecke, weht er gerade gemächlich ins nächste Abteil. Der sehr dunkelhäutige Mann muss den Kopf arg verdrehen, um ihn im Auge zu behalten.  Mein Fussel dreht sich noch ein wenig und wird dann von einem dunklen Wollmantel angezogen. Bevor er aufsetzen kann, verliert er dann doch gegen die Schwerkraft und fällt zwischen zwei Rückenlehnen. Weg ist er.

Fast bin ich ein wenig traurig.

Und wo eben noch ein kleines Lächeln in den Augen war, kehrt völlige Ausdruckslosigkeit zurück. Ich rede von dem wirklich dunkelhäutigen Mann. Völlige Ausdruckslosigkeit begegnet mir selten. Und auch diese hier scheint´s , ist nur Schein…

Soll ich noch nach einem neuen Fussel suchen…?

 

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8 Kommentare zu „white vs. black

  1. 😂😂Der Fusel…. SUPER👍🏻 Ich bin auch traurig geworden als du geschrieben hast das der Fusel weg ist…😕Aber dein Endsatz … 👌 Schön das so ein Kleiner Fusel so viel Leben in die Bahn bringen kann❤️….

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    1. Liebe Ella,
      Fusel kann auch Leben in die Bahn bringen – aus der Bahn werfen kann er auch …. aber der Fussel mit beiden s sorgt dann doch eher für Leichtigkeit…

      Liebste Grüße 😎

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  2. Spannend wie solch gedachte Belanglosigkeiten den Ausdruck in einem Gesicht verändern! Und ist der Moment vorbei, stellt sich wieder der maskenartige, teilnahmslose Ausdruck ein. Ich habe so etwas auch schon öfter erlebt. Und wer weiß, vielleicht wirke ich auch manchmal auf andere so?! Ist auch eine Art Schutz! Dich schön zu lesen, dass es jemanden gibt, der bzw. die mehr sieht!

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  3. Liebe Charlotte. Der spektakuläre Fussel erinnert mich immer noch wie viele Franzosen an den in Frankreich sogenannten ’sparadra‘ (Hansapflast??), der im Flugzeug an der Hand von Kapitän Schellfisch klebt , der durch eine Handwewegung den sparadra wegwirft .So wird der sparadra von einem Fluggast zum anderen Fluggast weiter weggeschickt…Auf Erden wie am Himmel das gleiche Ereignis! Liebe Grüsse…
    Ich empfehle der Ella einen guten Cassis-Wein…..

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