Klassentreffen

Der Waggon, in dem ich sitze wird von einer Schar Sechstklässler geentert. Unschlüssig steht ein Zwölfjähriger neben dem freien Platz neben mir. Sechs von acht Plätzen sind mit seinen Mitschülern belegt. Auf dem siebten sitze ich. Nah am Fenster – in Fahrtrichtung. Er überlegt immer noch, als die Bahn sich in Bewegung setzt. Dann verschwindet er. Verstehe. Bin ein Mädchen. Und. Erwachsen… Zum Davonlaufen für einen Zwölfjährigen.

Die Jungs kramen ihre Brotboxen hervor und beginnen zu frühstücken. Sieht alles sehr gesund aus. Mir gegenüber sitzt der Chef. Trinkt türkischen Apfeltee, beißt von seinem Brötchen ab, will was sagen und – der Bissen fällt ihm aus dem Mund. Unterdrücktes Gelächter von allen Seiten. Ein peinlich berührter Blick auf mich. Ich grinse und habe Mühe mein Lachen bei mir zu behalten. Erleichtert nimmt der Chef das zur Kenntnis und bricht nun seinerseits in Lachen aus. Dabei hebt er den runtergefallenen Bissen auf und verstaut ihn in einer Tüte.

Dieses gemeinsame Lachen scheint Tor und Tür zu öffnen. Der Chef greift zu einer weiteren Trinkflasche. Diesmal Wasser. Er saugt so lustig an seiner Flasche, dass die Zunge irgendwann dranhängt. Und sich festsaugt. Großes Gelächter von den anderen sechs Jungs.

Irgendwo habe ich mal gelesen, wie Shirley MacLaine sich in Steve Parker verliebt. Sie hatte sich an einem Ginger Ale Fläschchen festgesaugt und so ein Vakuum erzeugt, welches sie nicht mit eigener Kraft lösen konnte. Steve Parker, zwölf Jahre älter als sie, saß ihr gegenüber und befreite sie aus der misslichen Lage. Vier Stunden später machte er ihr einen Heiratsantrag…

Nein… Ich erlöse den Chef nicht.

Ich lache. Lache mit den Jungs über ihren Chef, mit ihrem Chef.

Die Jungs beruhigen sich wieder, stopfen Bananenschalen zurück in die Boxen, leeren Gummibärchentüten und werfen mir immer wieder schiefe Blicke zu. Der Chef nimmt einen letzten Schluck aus seiner Flasche. Dabei tropft er sich auf die Hose. Die Tropfen landen da, wo niemals – wirklich niemals, wenn man zwölf ist – Tropfen sein dürfen…

Schrecksekunde…

Der Chef lacht und lacht und lacht. Dabei fragt er sich laut, wie man sich so dämlich anstellen kann. Die sechs anderen kichern, gackern, grölen, prusten – holen Luft – und lachen weiter… Ich auch…

Eine junge Lehrerin gesellt sich amüsiert zu uns. Die Jungs müssen aussteigen. Sie wartet bis alle alles eingepackt, halbwegs wieder Luft haben und das Abteil verlassen. Der Chef wirft mir einen verschwörerischen Blick zu. Aus dem Jungen wird mal was. Ganz sicher. Und aus den anderen auch.

Als letzte verlässt die Lehrerin das Abteil. Auch sie wirft mir einen verschwörerischen  Blick zu, streckt dabei beide Daumen in die Luft und raunt: „geschafft…!“

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2 Kommentare zu „Klassentreffen

  1. ich hebe mir die Geschichten immer für Freitag -dann wird das Wochenende noch schöner-, oder für Montag -dann macht es die Woche leichter- auf.
    Diesmal ist es halt Freitag, ich hoffe das macht die kommende Woche nicht schlimmer.

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