kurz hell, lang dunkel und danach kommt der Sommer

Da ist ja mit der Überschrift schon alles gesagt, denke ich bibbernd auf dem Bahnsteig stehend. Gestern. Es ist viertel nach acht am Abend und die S Bahn hat jetzt schon 2 min Verspätung. Ich kriege meinen Zug nach Hause nur, wenn die S Bahn JETZT kommt und ich DANN renne. Sie kommt nicht. Dafür kommt Bogdan. Ich weiß noch nicht, dass er so heißt aber in exakt 23 min werde ich es wissen. Da muss ich aussteigen – Endbahnhof und er ist derjenige, der mich anschubst und sagt, dass ich aussteigen muss. Sein deutsch ist schwer verständlich.

Er hatte mich am Bahnsteig in dem Augenblick angesprochen, als mir klar wird, dass der Zug ins Umland ohne mich fährt. Kein gutes Timing. Ob ich einen Maler bräuchte, will er wissen. Er wäre Chef. Malerchef. Und er suche Aufträge. Aha. Auf dem Bahnsteig. Abends um acht. Mit Bierbauch und Bierflasche. Klar. Feierabendbier.  Darüber muss ich schon wieder lächeln. Was kann denn der Mann für meinen langen Weg nach Hause?

„Nee“, sag ich,  „einen Maler brauche ich grad nicht“. Das schreckt ihn nicht ab. Er sei ein guter Chef, mache gute Arbeit. Er kann auch noch mehr. Das glaub ich ihm gern. Aber brauchen tu ich`s trotzdem nicht. Da fährt die Bahn ein und ich suche mir ein Abteil, in dem es nur noch einen Platz gibt.

Ich bin so erledigt, dass ich vergesse Musik zu hören. Das merke ich erst als Gitarrenmusik zu mir herüber weht.  Norah Jones. Der Song kommt nicht aus lauten Kopfhörern – der ist echt.  Ich lausche und denke: schon ungewöhnlich… Norah Jones in meiner Bahn…? Warum nicht ? U2 war auch gerade da. Im U Bahnhof Deutsche Oper.  Ich müsste mir den Kopf verrenken, um  zu sehen, ob sie es wirklich ist. Und da alle meine Mitfahrer gelassen auf ihren Sitzen bleiben, gehe ich davon aus, dass es NICHT Norah Jones ist. Weil – die kennt man ja doch…

Inzwischen hat der Song aufgehört und ich krame nach Münzen in meinem Portmonee. Eine junge Frau mit Wollmütze, die Gitarre hoch über dem Kopf haltend, rennt an mir vorbei. „Hey… stopp…“ Verdutzt bleibt sie stehen und reißt sich die Mütze vom Kopf. Glatte schwarze Haare fluten ihre Schultern als sie sich umdreht und mir ihre Mütze entgegen hält. Die junge Asiatin, atemlos vom Laufen, lächelt über das ganze Gesicht, und meine Münzen kullern tonlos in ihre Mütze. „Hab schöne Weihnachten“ lächel` ich zurück. Sie hält kurz inne, schwenkt ihre Gitarre: „Stimmt. Weihnachten…Dir auch, sagt sie, „wo auch immer du sein wirst…“ Dann ist sie weg.

Ich sinniere über ihre Worte: …wo auch immer du sein wirst… Ich weiß, wo ich sein werde. Aber was ist denn mit denen, die es nicht wissen ? Das ist der Moment, wo mich der Malerchef anschubst, weil wir am Endbahnhof stehen.

Weil  mein Zug weg ist, habe ich Zeit – eine halbe Stunde – bis der nächste kommt. Und da ich neugierig bin, frage ich den Malerchef aus, der mich gerade die Treppen hinunter begleitet. Ich erfahre, dass er Bogdan heisst und aus Serbien kommt. Sein deutsch ist wirklich schwer verständlich und es braucht eine Weile bis ich den Ort  Serbien zuordnen kann. Da kommt dann die Erinnerung an den irre heißen Sommer in Kroatien und gleich darauf fallen mir die Worte eines Freundes ein, der da sagte: am 21.ist es kurz hell, lang dunkel und danach kommt der Sommer… Wir haben den 21. und ich vermisse den Sommer nicht. Ich hätt` gern Schnee zu Weihnachten. Weihnachten… „Was machst du zu Weihnachten, Bogdan?“ Es dauert einen Augenblick bis er sich meine Frage übersetzt hat. Er kratzt sich am Kopf, schwenkt hilflos die leere Bierflasche und zuckt mit den Schultern. Worte hat er nicht. Ich verstehe. Noch so eine einsame Seele.

Bogdan nimmt meine Hand, küsst sie und geht. Die Einsamkeit hält Schritt mit ihm…

Ihr da draußen, die ihr auf mich gestoßen seid…

habt ein besinnliches, liebevolles und entspanntes Weihnachtsfest…

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Ein Kommentar zu „kurz hell, lang dunkel und danach kommt der Sommer

  1. Guten Morgen Charlotte, ich hoffe Du hast es dann doch -irgendwie- nach Hause geschafft und hoffe natürlich auch, das du gestern nicht ganz so einsam warst.
    Wobei ich nicht an die Anzahl von Menschen denken möchte die es waren, oder an jene, die es nicht mal gemerkt haben
    Liebe Grüße

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