Wir nähern uns Weihnachten. Fest der Liebe, der Geschenke, des Chaos und der Familiendramen….Jeder hat da so seine Päckchen zu tragen… Was mir vor längerer Zeit passiert ist, was ich beobachtet und gespürt habe, hat nichts mit Weihnachten zu tun. Fällt nur gerade auf Anfang Dezember. Oder vielleicht doch…?
Aus irgendeinem Grund setze ich mich mit dem Rücken gegen die Fahrtrichtung. Mach ich sonst nie. Nur, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt. Aber die Bahn ist praktisch leer. Mein Blick fällt auf eine Frau – schräg gegenüber auf der anderen Seite. Sie sitzt am Fenster und blättert gedankenverloren in einer Zeitschrift. Ziemlich kurzer Rock für die Kälte, denke ich, aber mit dicken Strümpfen und Boots gut zum Aushalten. Beim Lesen wickelt sie sich aus ihrem Schal und öffnet ihre knallrote Daunenjacke.
Die Bahn ist bereits zehn Minuten unterwegs und der Waggon füllt sich. Als ich das nächste Mal aufschaue, sitzt ein junger Mann der Frau mit der roten Jacke gegenüber und mustert sie. Sein Blick ist ziemlich intensiv. Ich bemerke, wie diese Frau beim Lesen innehält. Irritiert innehält. Sie hebt den Blick und schaut den Mann mit weit offenen Augen an. Meine Unterarmhärchen unter meinem Wollpulli stellen sich auf. Ich sitze sozusagen in der ersten Reihe und kriege ungefiltert die sich aufbauende Spannung ab. Die beiden versinken in ihren Blicken. Neben mir der Mann rutscht unruhig auf seinem Platz hin und her. Spürt der das etwa auch? Meine Unterarmhärchen haben ihre volle Größe erreicht und piksen durch den Pulli. Die beiden schauen sich immer noch an. Kennen die sich? Proben die hier fürs Theater? Das ist ja nicht zum Aushalten, denke ich. Können die nicht irgendwas tun? Nein…doch….da… – …holt die Frau tief Luft und greift in ihre Tasche. Ja – denke ich – die Frauen wieder… Meine Härchen legen sich hin, und ich sacke ein wenig zusammen. Auch der Mann neben mir atmet laut aus.
Eine Trinkflasche kommt zum Vorschein. Die Frau am Fenster öffnet sie und trinkt. Trinkt den halben Liter beinahe aus. Steckt die Flasche wieder ein. Und ich sehe, dass die beiden gar nicht aufgehört haben, sich anzuschauen. Sie haben beide den Blick nicht voneinander abgewendet… Sie schaut und trinkt und er schaut ihr beim Trinken zu. Jetzt greift er in seine Jackentasche. Ohne den Blick von ihr zu wenden. Innerlich flehe ich ihn an – gib ihr deine Nummer, bitte. Tu irgendetwas. Du kannst jetzt nicht nichts tun…
Doch… Er kann… Er steckt sich einen Fishermann´s friend in den Mund. Sie hat derweil ihre Zeitschrift verstaut und wickelt sich den Schal um. Zum Jacke schließen steht sie auf. Steht dicht vor ihm und ich sehe, wie ihre Hände zittern – beinahe fliegen. Letzte Chance, denke ich. Soll ich euch einen Stift geben, denke ich.
Die zittrigen Finger scheitern an zwei Reißverschlüssen. Mit offener Jacke verlässt die Frau das Abteil, den Waggon. Stellt sich am Bahnsteig vor das Fenster an dem sie saß und lächelt ins Innere… des Mannes.. des Abteils… Ein so warmes, so wissendes Lächeln, dass ich, die das alles nur von außen betrachte – mir nicht vorstellen mag, wie es in seinem Inneren aussieht…. Der junge Mann verlässt an der nächsten Haltestelle die Bahn… und auf einmal ist es ziemlich kalt im Abteil.
Als ich ein paar Wochen später einer Freundin von dieser Begegnung erzähle, denkt sie nach und meint dann, dass sie sich sicher sei , in unserem Lieblingsradiosender eine Suchmeldung gehört zu haben. Das wäre ziemlich ungewöhnlich. Ich habe noch nie gehört, dass Radio eins eine Suchmeldung rausgegeben hätte. Nicht für verloren gegangene Herzen, jedenfalls… „Rote Daunenjacke..? S- Bahn…?“ Hat sie irgendwie im Ohr.
Ob sie es gehört hat? Er sucht. So kurz vor Weihnachten…und es ist doch ein Fest der Liebe…
…der ist nicht von mir… den habe ich aus dem Schaufenster einer Logopädin… danke…
Die Geschichte kommt mir irgendwie bekannt vor……….
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wenn ich mich recht erinnere…….
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