Frau ohne Worte                                                    

…die Bahn, die ich betrete ist sommerlich leer und heiß. Irgendwo weht ein Lüftchen – nicht bei mir, bei mir tropfen die Schweißperlen. Die junge Frau sitzt kurzärmelig am Fenster. Eine wunderschöne Frau. Skandinavisch blond – blaue Augen – ausdrucksstark … alles an ihr kraftvoll. Sie hat Stöpsel in den Ohren und wirkt entrückt. Der Blick ist in die Musik gerichtet. Die Arme nackt und muskulös beginnen Geige zu spielen, wechseln zur Harfe, übernehmen das Cello und werden wieder Geige. Wie in Trance. Sie ist versunken in den Tönen – gibt sich hin in der Bahn. Zieht Blicke auf sich. Auch meine. Die meisten wenden sich ab, sind irritiert oder peinlich berührt. Ich bin fasziniert. Für mich ist sie Musik. Ich bewundere ihre Unbeirrbarkeit und ihr tiefes Verständnis für die Welt der Töne. Wir müssen die Bahn wechseln – sie steigt ebenfalls um und sitzt jetzt hinter mir. Am Gekicher zweier junger Mädels erkenne ich, dass sie weiter Musik ist. Sie hat eine Reisetasche bei sich. Offensichtlich schwer. Ein Anruf holt sie zurück in die Bahn. Ihre Stimme ist, wie erwartet, tiefer – ein wenig heiser. Und sie spricht holländisch oder dänisch. Ich muss lächeln. Fange ich jetzt auch schon an in Klischees zu denken? Es ist ein kurzes Telefonat. Sie lacht auf, stemmt ihre Reisetasche auf die linke Schulter und verlässt den Waggon an der nächsten Haltestelle. Ihre Musik nimmt sie mit. Leere bleibt…

 

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